Bei verschiedenen langen Aufenthalten in Südamerika (Ecuador, Bolivien, Mexiko, Panama) entstanden in den Jahren 1979-1980, 1986, 1990, 1994, 1995, 1996 Texte, Gedichte und Bilder

Brief aus der Ferne

Die Indianer tragen alle Hüte

Die Wiege der Babies ist in den Rinnsteinen

Die Orte sind ganz lustig mit den Baracken

Das Wasser gibt es in rostigen Tonnen auf den Straßen

Die Hunde sind ziemlich dünn

Die Schweine wühlen im Abfall vor den Häusern

Die Villen in den Vororten sind viel schöner als zu Hause

Die Bankhochhäuser sind genauso hoch wie bei uns

Das Fernsehen zeigt amerikanische Western

Die Soldaten haben deutsche Gewehre

Die Erdölleitungen führen zum großen Hafen

Die breite Straße wird durch den Dschungel gestampft

Die schweren Säcke werden von den Indianern getragen

Warum tragen die Indianer alle Hüte?

 

[Ecuador -  März 1980]

Guayaquil

ein straßenrestaurant in dieser heißen stadt
laut und unmelodisch donnern räder vorbei
und bei einem bier, nachts
europäische kultur vereinigt mit heißem äquator
wie das zischende bier
oder die knisternden neonröhren

und die alte indiofrau mir gegenüber
leise und erschöpft versunken im schlaf
und ihre augen, schwarz
indianische züge geschlagen von den söldnern
von den stampfenden baggern
oder den hämmernden registrierkassen

und die gerunzelte bleiche hand
zaghaft ausgestreckt in die luft
und ihr herz, laut
schläge eingekesselt von enttäuschten hoffnungen
von den weinenden kindern
oder der stampfenden discomusik

und in den scheiben der bank gegenüber
abgezehrt spiegelt sich ein leib
und auf den marmortreppen, leise
das rascheln der sterbenden ausdauer
wie das endlose computerpapier
oder die vorandringenden einheiten.

und ein etwas auf dem pflaster
zusammengesunken haucht es schwarzes aus
und ein letzter schrecken, entsetzend
der tod angezogen von den bankiers
wie die anziehende werbung
oder eine ausgeleerte cola-dose.

 

[Guayaquil, 20. September 1980 - 1. Oktober 1981]

 

Mädchen

 

Mit den grünen Blättern und den schuppigen Leguanen,
den gelben Tennisbällen und dem braunen Bruder
spielt sie auf den trockenen Bäumen.
Mit dem Lachen einer Meerjungfrau und der Röte des Inka
den Trommeln aus Afrika und dem Knistern des Feuers
jongliert sie in ihren Träumen.

In dieser heißen Stadt tanzt sie auf den Dächern,
mit glühender Haut, glitzernden
Augen, den Ritmo wellblechern.
Zauberer werde ich oder Jongleur,
Naturforscher, Seemann oder Monteur.
Ich träume, ich träume,
riesengroße Bäume.
Komm herab Mädchen von deinen Bäumen und den Dächern,
laß die schillernden Leguane und die grünen Blätter,
sei artig und vergiß den braunen Bruder
Komm setz dich und zieh die weißen Söckchen an
das kurze Kleidchen und die hübsche weiße Bluse
und denk an deine Mutter.
In dieser heißen Stadt bleibt sie in den schattigen Räumen,
mit kühler Haut und traurigen Augen, fern von den Bäumen.
Zauberer wollt ich oder Jongleur
fand nun dieses Malheur
Ich träume, ich träume
dunkle, enge Räume.
Mit dem Herzen auf Eis und der Seele auf Grund
Mit dem Krebspanzer als Kleid und Außenwendung
begann sie eine weite Reise.
Über den dunklen Ozean der Gefühle, mit den gischtenden Wellen
Hinein in den Abgrund schwarzer Ferne von sich selbst
lebt sie auf ihre Weise.
In diesem kalten Land umklammert sie den alten Traum
tief in ihrem Herzen, verschlossen ihr heiliger Raum.

Tanz war ich oder Musik
spring hinein in die Tragik
Ich fühle, ich fühle
bedrohliches Gewühle.
Mit Fürsorge um den Bruder, den Sohn, den Sohn, den Mann
mit ihrer Liebe, ihrer Wärme,  ihrem Bangen,
wartet sie auf den rosaroten Tanz unter den Bäumen
.

lerohx RL (1992)